Nach fast einem halben Jahr Vorbereitung durch unser Studienseminar Geschichte sowie den Lehramtsstudenten eines geschichtsdidaktischen Seminars der Universität Regensburg fand am Freitag, den 27. Juni 2014 an der Realschule am Judenstein unser Projekttag zur experimentellen Archäologie mit der Klasse 6c statt. Leiter des Projekts war Dr. Peter Spateneder. Schüler und Schülerinnen der sechsten Jahrgangsstufe lernten durch handlungsorientierten Geschichtsunterricht zehn verschiedene Kulturtechniken der Steinzeit praktisch kennen und nutzten die dabei gemachten Erfahrungen als Ausgangspunkt einer kompetenzorientierten Reflexion ihrer eigenen Lebenszusammenhänge. Indem sie ihre Gegenwart an der erlebten Vergangenheit spiegelten, erwarben sie Orientierungskompetenz. Als Abschluss präsentierten die Schüler ihre Ergebnisse der Öffentlichkeit in einer Ausstellung mit Exponaten und Informationstafeln.
Dieses Projekt spricht wie kaum ein anderes Thema in der Schule die Vorlieben und Interessen der Schüler in der sechsten Jahrgangsstufe an, weshalb die Motivation der Kinder außerordentlich hoch war. Auch in den Pausen arbeiteten sie tüchtig und voller Ernst an „ihrer“ Kulturtechnik, um am Nachmittag stolz ihre Ergebnisse zu präsentieren.
Im Zentrum standen zehn Module mit steinzeitlichen Kulturtechniken, welche die Schüler erforschen und praktisch be-greifen konnten. Dabei hielten wir uns, so weit dies möglich war, an den archäologischen Befund. So konnte jedes steinzeitliche Modul durch die Thematisierung eines dazu passenden archäologischen Fundes eingeleitet werden. Ausgehend von diesem Fund tasteten sich die Schüler praktisch an die steinzeitliche Kulturtechnik heran, um sie am Ende einer Einheit schließlich selbständig zu erproben:
- Feuerschlagen mit Zunderpilz, Pyrit, Feuerstein und Birkenrinde
- Herstellung einer altsteinzeitlichen Speerschleuder mit Fiederung
- Herstellung steinzeitlichen Schmucks aus Fuchszähnen, Muscheln, Geweihringen usw.
- Höhlenmalerei mit natürlichen Erdfarben, Blastechnik und Pinsel
- Herstellen eines originalgetreuen Modells eines Langhauses
- Steinzeitliches Kochen in Kochgruben mit Leder und Wärmesteinen
- Herstellung einer Flöte aus Röhrenknochen eines Vogels
- Herstellung von Lederschuhen mit Grasfüllung mit Hilfe von Knochenahlen
- Herstellung einer Getreidesichel mit Birkenteer und Feuersteinabschlag
- Herstellung eines Seils aus Lindenbast
So konnten die Schüler am Vormittag des Projekttages in praktischen archäologischen Experimenten diese Kulturtechnik mit Originalmaterialien handlungsorientiert begreifen und aus ihren Erfahrungen kompetenzorientiert Erkenntnisse für ihre eigene Lebenswelt ableiten. Dazu wurden – um nur ein Beispiel zu nennen – im Gewölbekeller der Schule mit Hilfe steinzeitlicher Sprühtechnik und Erdfarbe Höhlenmalereien nach den großen Vorbildern in den Höhlen von Lascaux und Chauvet geschaffen. Zur praktischen Umsetzung der Steinzeit-Techniken verwendeten wir ausschließlich Originalmaterialien wie Lindenbast, Erdfarben, Birkenteer, Knochen, Leder, Kochsteine oder Geweihe. Auch die Werkzeuge, die wir dazu benutzen, sind den Originalen nachgebildet wie etwa Feuersteinklingen, Knochenahlen, Geweihschlegel, Steinbohrer usw.
Zum Abschluss erstellten die Schüler mit Hilfe des vorbereiteten Transfermaterials ausgehend von ihrer praktischen Erfahrung eine Ausstellung, welche über die Bedeutung der steinzeitlichen Kulturtechniken bis heute informierte und viele Exponate zum Anfassen und Ausprobieren anbot. Am Nachmittag waren ab 13:30 Uhr Eltern, Schüler, Lehrer und Freunde der Schule zu dieser Ausstellung eingeladen, um sich von den Schülern der 6c demonstrieren zu lassen, was sie am Vormittag gelernt haben und um alle Techniken auch praktisch auszuprobieren.
Gerade in einer Welt, in der sich die Persönlichkeit zusehends „virtualisiert“ und in der die Grundbedürfnisse des Menschen wie Essen, Wohnen und Bekleidung auf einfachste Weise befriedigt werden können, bot die Begegnung der Schüler mit dem Leben der Menschen in der Steinzeit zahlreiche Möglichkeiten zur Reflexion ihrer eigenen Lebenswelt in Kategorien wie Bequemlichkeit, Herkunft der Nahrung, Gemeinschaft versus Individuum, Kostbarkeit der Ressourcen versus Wegwerfgesellschaft etc. Auf diese Weise entwickelten die Schüler Bewusstsein für die existentielle Bedeutung der Erfüllung von Grundbedürfnissen nach Essen, Wohnen, Wärme oder Kleidung angesichts der scheinbar selbstverständlichen Erfüllung dieser Bedürfnisse in der Lebenswelt der Schüler.
Dr. Peter Spateneder